Baby-Boom verschärft den Lehrermangel

Babyboom und Zuwanderung lassen Prognosen alt aussehen: In Sachsen-Anhalt gibt es so viele Grundschüler wie seit dem Jahr 2000 nicht.

Volksstimme 28.11.2017 – Alexander Walter

Magdeburg l Die jüngste Bevölkerungsprognose ist gerade anderthalb Jahre alt. Und doch bleibt sie schon wieder hinter der Wirklichkeit zurück: 67.805 Schüler besuchen Sachsen-Anhalts Grundschulen nach Angaben des Statistischen Landesamts im laufenden Schuljahr. Das sind 660 mehr als in der neuesten Vorhersage berechnet.

Insgesamt lernen damit so viele Kinder in Grundschulen im Land wie seit der Jahrtausendwende nicht. Die Entwicklung könnte sich fortsetzen, das legen neueste Statistiken nahe. So stieg die Geburtenzahl 2016 im dritten Jahr infolge (Zahlen für 2017 liegen noch nicht vor). 18.093 Kinder wurden 2016 in Sachsen-Anhalt geboren – 1303 mehr als kalkuliert.

Schulplanung hinfällig

Besonders stark betroffen ist Magdeburg. 174 Schüler mehr als im Vorjahr wurden in der Landeshauptstadt eingeschult. Oberbürgermeister Lutz Trümper (SPD) rechnet mit einer noch drastischeren Zunahme bis 2023. Nach Berechnungen der Stadt wird die Zahl der Einschüler von aktuell 2093 auf dann 2410 pro Jahr anwachsen.

Trümper: „Das sind 15 Klassen oder fünf neue Grundschulen.“ Der OB geht zudem von mindestens 600 weiteren Kindern durch Familiennachzug aus dem Ausland aus. „Die Zahlen werfen unsere gesamte Schulplanung durcheinander.“ Die Stadt müsse völlig neu planen – inklusive Schulgebäude. Auch Halle rechnet bis 2023 mit steigenden Schülerzahlen. Die Stadt hat bereits reagiert: 255 Millionen Euro will sie in Schulen und Kitas investieren.

Geht die Schere zwischen Prognose und Realität auch landesweit weiter auseinander, erhöht das auch den Bedarf an Lehrern. Dabei ist die Lage schon ohne die neuen Zahlen angespannt. Die Unis bilden bis 2022 nicht einmal die Hälfte des Bedarfs aus.

Schülerzahl fast überall gestiegen

Nach Berechnungen einer Expertengruppe am Bildungsministerium müssen bis 2030 im Schnitt 650 Lehrer jährlich ins System – Grundlage: die gültige Bevölkerungsprognose. Bei der Annahme aber, dass auch bis 2022 jährlich 600 Schüler mehr eingeschult werden als geplant, ergäbe sich ein Zuwachs von zusätzlich 3000 Schülern. Da laut Bildungsministerium für 1000 Schüler 70 Vollzeitstellen gebraucht werden, würde der Lehrerbedarf um 40 Stellen jährlich steigen.

Bildungsminister Marco Tullner (CDU) hält dennoch an 650 Einstellungen jährlich fest: „Für die Langfristbetrachtung ist die gültige Bevölkerungsprognose alternativlos“, sagte er. Unabhängig davon sei klar, dass eine neue Bevölkerungsprognose berücksichtigt wird.

Die Lehrergewerkschaft GEW widerspricht. „Die neuen Zahlen müssen in die Bedarfsberechnung eingehen“, fordert Landesvorsitzende Eva Gerth.

Im Vergleich zu 2016 ist die Zahl der Einschüler in 11 von 15 Landkreisen gestiegen. Starke Zuwächse verzeichnet neben Magdeburg etwa auch der Altmarkkreis Salzwedel (+54). Doch es gibt auch gegenläufige Tendenzen. Im Burgenlandkreis sank die Zahl um 96.