Notstandsgebiet Bildung

Wegen des schlechten Abschneidens Sachsen-Anhalts beim aktuellen Bildungsmonitor schlagen Wirtschaft und Opposition Alarm.

Volksstimme 18.08.2020 – Alexander Walter, Foto Patrick Pleul

Magdeburg l Überalterte Kollegien, schlechte Betreuungsschlüssel in Kitas und Unis – angesichts der schlechten Noten für Sachsen-Anhalt im aktuellen Bildungsmonitor warnen die Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbände im Land vor Standortnachteilen:

Dass etwa 11,4 Prozent der Schüler des Jahrgangs 2017/18 keinen Abschluss erreichten, sei ein „Armutszeugnis für das Bildungssystem“, sagte Arbeitgeberpräsident Klemens Gutmann.

Ausbildungsfirmen investierten viel, um Wissensdefizite auszugleichen. „Dauerhaft können Sachsen-Anhalts Unternehmen aber nicht der Reparaturbetrieb der anhaltenden Probleme der Schulpolitik sein.“

„Die Ergebnisse sind hoffentlich ein deutliches Signal an unsere bildungspolitisch Verantwortlichen, zukünftig besser zu werden“, ergänzte er.

Sachsen-Anhalt auf dem letzten Platz

Sachsen-Anhalt war in der am Freitag veröffentlichten Vergleichsstudie im Auftrag der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) auf den letzten Platz alle Bundesländer abgerutscht. Die Studie untersuchte 93 Indikatoren. Sie sollen Auskunft darüber geben, wie gut Bildungseinrichtungen von der Kita über die Schulen bis zur Hochschule zu Wachstum und Wohlstand beitragen – etwa durch Sicherung des Fachkräfte-Nachwuchses.

Sachsen-Anhalt schnitt dabei nicht nur schlecht ab, Beispiel: In Mathe- und Naturwissenschaften erreichten Neuntklässler 2019 hohe Kompetenzwerte (Platz 4 im IQB-Ländervergleich).

In Grundschulen nahmen zudem besonders viele Kinder Ganztagsangebote wahr.

In Summe überwogen aber die Negativ-Aspekte. Ausschlaggebend für die Platzierung auf Rang 16 sind neben dem hohen Alter vieler Kollegien und schlechten Betreuungsschlüsseln auch relativ wenige Hochschulabsolventen mit einer Qualifikation in Naturwissenschaften, Informatik oder Mathe (MINT).

Unter ausländischen Jugendlichen schafften zudem besonders wenige einen Schulabschluss mit Studienberechtigung.

Bildungsministerium trage Verantwortung

Für die Linke im Landtag liegt die Hauptverantwortung im Bildungsministerium: „Jetzt rächen sich die Fehlentscheidungen und die Tatenlosigkeit der letzten fünf Jahre“, sagte Fraktionschef Thomas Lippmann. Die noch bestehende Leistungsstärke von Schülern in Naturwissenschaften und Mathe resultiere „aus der Zeit vor dem massiven Bildungsabbau unter Minister Marco Tullner“.

Fraktionsvize Eva von Angern sagte gar, Sachsen-Anhalt habe sich zum „Notstandsgebiet für Bildung“ entwickelt. Als Beispiele für Fehlsteuerungen nannte sie ideologische Scheuklappen bei der Inklusion, zu geringe Bildungsausgaben und eine verfehlte Personalpolitik.

Die CDU widersprach: „Der Bildungsmonitor liefert ein Zerrbild der tatsächlichen Verhältnisse“, sagte Bildungspolitikerin Angela Gorr. Wenn etwa die Frage nach dem Altersaufbau der Lehrerschaft zum Maßstab für die Qualität der Bildung gemacht werde, sei dies „schlichtweg irreführend“.

Ähnlich äußerte sich die AfD: „Die Lage in Sachsen-Anhalt ist miserabel“, sagte der bildungspolitische Sprecher Hans-Thomas Tillschneider. „Der Bildungsmonitor aber beurteilt die Lage falsch.“ Er beruhe größtenteils auf wenig aussagekräftigen Indikatoren.

Ergebnisse seien kein Schock

Bildungsministeriums-Sprecher Stefan Thurmann sagte: „Die Ergebnisse sind kein Schock für uns.“ Die Probleme seien bekannt, man arbeite daran – so an der Verjüngung der Kollegien. Auch aktuell laufe eine Großausschreibung für 484 Lehrer-Stellen. Die Hintergründe des hohen Schulabbruchs beleuchte eine Studie der Uni Magdeburg.

Wissenschaftsminister Armin Willingmann (SPD) räumte ein: „Der Rückgang an MINT-Absolventen in den vergangenen Jahren sei auch angesichts vieler Neuansiedlungen alarmierend.

Im Wintersemester 2019/20 belegten mit 16.980 Studenten demnach 1129 junge Leute weniger ein MINT-Fach als noch 2009/10. Es gelte, jungen Leuten mehr Lust auf MINT-Fächer zu machen und ausländische MINT-Absolventen im Land zu halten.

Insgesamt sei die Wissenschaftslandschaft dennoch attraktiv, ergänzte Sprecher Matthias Stoffregen. Dies spiegelten stabil hohe Studentenzahlen und die Rückmeldungen vieler Unternehmen.