Personalmangel an Schulen Laute Warnung: „Druck auf die Lehrer steigt“

Eine Initiative gegen den Mangel an Pädagogen mobilisierte Zehntausende. Gewerkschaftschefin Eva Gerth spricht über ein mögliches Volksbegehren.

Mitteldeutsche Zeitung 05.11.2018; Foto: imago/photothek

Magdeburg – Dieses Bündnis vereint Lehrer, Eltern, Politiker, Gewerkschaften: Die Volksinitiative „Den Mangel beenden“ versteht sich als Alarmmelder für das Schulsystem im Land. Mit zehntausenden Unterstützern schaffte es das Bündnis bis in den Landtag, forderte mehr Lehrer gegen den Personalmangel.

Doch führende Köpfe zeigen sich nun vom Resultat enttäuscht – und erwägen ein Volksbegehren, also einen eigenen Gesetzentwurf. MZ-Redakteur Jan Schumann sprach mit Eva Gerth, Landeschefin der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW).

Für Ihre Volksinitiative konnten sie 77.000 Menschen mobilisieren, sie haben es bis ins Parlament geschafft. Was wollen Sie mit einem möglichen Volksbegehren jetzt noch erreichen?
Eva Gerth: Wir haben eine Verpflichtung weiterzumachen, denn aus meiner Sicht werden wichtige Forderungen nicht umgesetzt: zum Beispiel, dass Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst schon in der Ausbildung eine Einstellungszusage bekommen. Es gibt auch noch keine Ersatz-Einstellungen für langzeiterkrankte Lehrer und Kollegen in Elternzeit. Das betrifft nach unseren Zahlen aktuell 600 bis 800 Lehrer im Land.

Die Antwort des Bildungsministeriums können Sie sich jetzt schon ausmalen: „Wir können nur mit dem Personal und den Ressourcen arbeiten, die wir bekommen.“
Gerth: Bildungsminister Marco Tullner zieht sich zu sehr auf bestehende gesetzliche Bestimmungen zurück. Wir saßen erst vor Tagen mit ihm und dem Ministerpräsidenten zusammen, aber es gibt in diesen Punkten aus meiner Sicht leider keine Annäherung. In einem Punkt sieht es glücklicherweise anders aus: Wir haben die Zusage, dass bis spätestens 2019 weitere 300 bis 400 pädagogische Mitarbeiter eingestellt werden. Das hilft den Schulen sehr. Und ich bin optimistisch, dass das auch realisierbar ist.

Sie halten den Druck auf die Landesregierung hoch, dabei gab es schon Zusagen: 2018 sollen 1.000 Lehrer eingestellt werden. Sehen Sie das Problem vor allem auch darin, dass an den Schaltstellen der Verwaltung noch kein Umdenken stattgefunden hat?
Gerth: Ja. Es gibt viel blockierende Bürokratie – ich weiß nicht, ob es am Ministerium oder am Schulamt liegt. Potenzielle Bewerber haben in der Vergangenheit ins Internet geschaut und mussten lesen: Die Bewerbungsrunde ist geschlossen, wir arbeiten daran. Das schreckt ab. Außerdem lassen wir immer noch zu viele Bewerber ziehen, einfach weil deren erste Wunschstelle nicht zugesagt werden kann. Warum sagen wir denen nicht: Pass auf, wir haben andere freie Stellen, wir verhandeln auch gerne mit dir.

Geben Sie uns einen Einblick in die Schulen. Hat sich die Lage seit dem vergangenen Schuljahr verschlechtert?

Gerth: Davon gehe ich aus. Laut Ministerium können unsere Lehrer derzeit 99 Prozent des Unterrichts abdecken – ich glaube aber, der Wert ist schlechter. Denn akute Erkrankungen und Elternzeit fehlen in dieser Statistik. Viele Schulen steuern gegen, indem sie entweder Klassen zusammenlegen oder weniger Stunden in bestimmten Fächern erteilen. Der Druck auf die Lehrer steigt jedenfalls. Und wenn in einigen Grundschulen nur noch vier statt acht Lehrer zur Arbeit kommen, ist da Katastrophenalarm.

Obwohl die Sommerferien nicht lang zurückliegen, melden erste Schulen bereits Ausfälle aufgrund erkrankter Lehrer. Was erwarten Sie für die anstehende Grippezeit?
Gerth: Das Bildungsministerium hat eine Erhebung gemacht vor einigen Jahren: Während an einem Stichtag im September rund sechs Prozent der Lehrer akut erkrankt waren, lag der Wert im November bei zehn Prozent. Für die Ausfallzahlen an den Schulen heißt das dieses Jahr nichts Gutes.

Wenn Sie auf die Landkarte schauen: In welchen Regionen des Bundeslandes brennt es derzeit am meisten?

Gerth: Es betrifft vor allem die Ränder: den Harz, die Altmark, die Region Wittenberg. Aber auch die Städte sind gefährdet. Und die schwierige Personalsituation betrifft inzwischen alle Schulformen. In Grund- und Förderschulen kann man die Probleme noch durch Klassenzusammenlegungen auffangen. Das geht an den Gymnasien nicht so einfach, zumal dort auch häufig Blockunterricht stattfindet. Außerdem ist das auch eine erhebliche Belastung für Lehrkräfte und pädagogische Mitarbeiterinnen.

Eine gute Nachricht lautet: Mittlerweile gibt es mehr Lehramtsstudenten in Sachsen-Anhalt als noch vor Jahren. Macht Ihnen das keine Hoffnung?
Gerth: Das macht uns optimistisch. Wir gehen davon aus, dass im nächsten Semester etwa 1.000 Erstsemester in den Universitäten in Halle und Magdeburg anfangen. Langfristig sollten es 1 200 sein. An den zuletzt gestiegenen Zahlen zeigt sich, dass Lehrer gute Berufsperspektiven haben. Trotzdem brauchen wir auch qualitative Veränderungen, noch ist es so, dass zu viele Studenten abbrechen. Dagegen müssen die Unis etwas tun.

Das Ministerium möchte nun eine Werbekampagne starten, um jungen Erwachsenen Lust auf den Lehrerberuf zu machen. Welchen echten Einfluss kann eine solche Kampagne haben?
Gerth: Ich sage mal so: Es kann nicht schaden. Allerdings kommt diese Aktion relativ spät. Mecklenburg- Vorpommern macht das schon seit drei, vier Jahren. In einer akuten Lage wie in Sachsen-Anhalt kann Marketing nur Teil eines großen Puzzles sein.

Nicht nur, dass wir die Bewerber selbst viel intensiver ansprechen müssen. Als Gewerkschaft fordern wir zum Beispiel auch Arbeitszeitkonten für Lehrer, damit sie in fünf bis sechs Jahren ihre Überstunden, die sie jetzt leisten, abgelten können. Bisher müssen die Überstunden immer im nächsten Schuljahr abgegolten werden. Das wird von Seiten der Landesregierung leider noch generell abgelehnt, obwohl das keinen Cent mehr kosten würde. (mz)

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